In den letzten Jahren ermöglichen immer mehr Unternehmen ihrem Team die Remote-Arbeit. Dabei ist die virtuelle Führung mit einigen Besonderheiten und Herausforderungen verbunden. Es geht nicht nur darum, die Teammitglieder mit der richtigen Projektmanagement-Software auszustatten. Es ist wichtig, Vertrauen in die Angestellten aufzubauen und dafür zu sorgen, dass ihre tatsächliche Arbeit beurteilt wird, nicht ihre Stechkarte. Auch Themen wie Mikro-Management und strenge Mitarbeiterüberwachung sollten vermieden werden. Dabei muss der Projektmanager trotzdem den vollen Überblick über die täglichen Aufgaben behalten.
Egal ob du ein neues Remote-Team auf die Beine stellst oder noch Schwierigkeiten dabei hast, ein bestehendes Team aus der Ferne zu managen: Die folgenden Tipps sollen dich dabei unterstützen, dein virtuelles Team erfolgreich zu führen – unabhängig vom Standort dereinzelnen Teammitglieder.
Für diesen Artikel haben wir Interviews mit sieben Experten aus den Bereichen Projektmanagement und Personalmanagement geführt. Unsere Experten erklären uns, was bei der Führung von Remote-Teams entscheidend ist, wie man auch im Home-Office den Überblick behält und welche Projektmanagement-Methoden sich am besten für die virtuelle Führung eignen.
Unsere Experten (in alphabetischer Reihenfolge):
- Boris Gloger von borisgloger consulting
- Christian Botta von Visual Braindump
- Christian Lechner von Catus Consultants
- Holger Zimmermann von www.projektmensch.com
- Mario Neumann von Projekt-Safari
- Rolf Irion von agile.coach
- Stefan Scheller von Persoblogger.de
Die virtuelle Führung von Remote-Teams
Zahlreiche Angestellte wurden zu Beginn der Krise ins Home-Office geschickt. Für viele Unternehmen ist es an der Zeit, die Rückkehr ins Büro zu planen. Andere Unternehmen dagegen geben ihren Mitarbeitern die Freiheit weiter von zu Hause zu arbeiten bzw. ein Hybrid-Modell zu wählen. Einer Capterra Studie zufolge wollen nur 9 % nach der Krise täglich an die Arbeitsstelle zurück.
Remote-Arbeit ist ein langfristiger Trend, der so schnell nicht weggehen wird. Noch wichtiger denn je ist es also für Projekt- und Personalmanager an ihren digitalen Führungsqualitäten zu arbeiten.
“Führungsverhalten hat in der Führung auf Distanz eine viel größere Wirkung als bei Präsenzführung. Die Bedingungen sind nun extremer und verlangen von der Führungskraft mehr Sensibilität und Aufmerksamkeit”, erklärt Rolf Irion.
Die Attraktivität als Arbeitgeber wird ebenfalls erhöht, wenn Remote- bzw. Hybrid-Arbeitsmodelle im Unternehmen angeboten werden. Welche Tipps haben unsere Experten für Projektmanager, um ihr Remote-Team erfolgreich aus der Distanz zu führen?
Experten-Tipps um Remote-Teams erfolgreich zu führen
Vertrauen anstatt Mikromanagement
Einige Projektmanager haben im Home-Office Angst vor Kontrollverlust. Dabei sagt die Anwesenheit eines Mitarbeiters im Büro nichts über seine Produktivität aus. Ein häufiges Problem bei der Führung von Remote-Teams ist, dass Führungskräfte ihr Team Mikro-managen, da sie ansonsten Angst haben, nicht den vollen Überblick zu haben. Beim Mikromanagement möchte der Projektmanager bzw. Vorgesetzte über jede kleine Änderung am Projekt informiert werden. Mitarbeiter können nicht frei handeln, sondern müssen für alles eine Genehmigung einholen. Mitarbeiter verlieren viel Zeit mit Statusberichten, unnötigen Abstimmungen und viel Kommunikation. Mikromanagement ist ein Motivationskiller und steht der Produktivität entgegen.
Mario Neumann erklärt, dass “die Corona-Phase eine neue Dimension schafft, die auf Projektleiter erst einmal wirken muss. Denn die aktuelle Projektleiter-Generation ist über Kontrolle groß geworden: Projektpläne zu entwickeln und über Kennzahlen (KPIs) zu steuern, war für sie über viele Jahre Standard. Auf Vertrauen zu setzen, dass die Mitarbeiter von sich aus qualitativ hochwertig arbeiten und dabei Zeit und Kosten nicht aus den Augen verlieren, war nicht üblich.”
Stefan Scheller meint, “je früher Führungsverantwortliche sich davon lösen, alles im Detail managen zu wollen, umso besser. Misstrauen wirkt sich sehr schnell negativ auf die Zusammenarbeit aus. Und übertriebene Fürsorge kann leicht vom Team als Misstrauen wahrgenommen werden. Der Fokus sollte stattdessen darauf gelegt werden, welche Rahmenbedingungen ein eigenverantwortliches Arbeiten stärken und welche Hindernisse Führungskräfte dafür aus dem Weg räumen müssen.”
Von der Mitarbeiterüberwachung im Home-Office halten unsere Experten nichts
Einige Führungskräfte suchen nach neuen Wegen, um die tägliche Arbeit ihrer Remote-Mitarbeiter im Griff zu behalten. Eine Lösung bietet die sogenannte Mitarbeiterüberwachungssoftware. Mit dieser Software können Arbeitgeber detailliert verfolgen und überwachen, was ihre Mitarbeiter tun. So könnten beispielsweise Slack-Konversationen oder E-Mails gelesen werden oder der Internetverlauf der Angestellten überprüft werden. Mitarbeiter auf diese Weise zu kontrollieren widerspricht der deutschen Arbeitskultur. Dennoch geschieht die Mitarbeiterüberwachung – seit der Krise sogar mehr.
Unsere Experten sind sich zu dem Thema einig, von Mitarbeiterüberwachung im Home-Office halten sie nichts. Christian Lechner zufolge ist die “Mitarbeiterüberwachung weder im Home-Office noch im Büro sinnvoll. Permanentes Einfordern von Berichten zum Arbeitsprozess oder zur Anwesenheit erstickt jegliche Kreativität und Innovation. Am Ende zählt das gelieferte Ergebnis.” Holger Zimmermann fügt dem hinzu, dass “Kontrolle alles kaputt macht, was gute Zusammenarbeit ausmacht. Besonders bei Wissensarbeit in Projekten ist Kontrolle sowieso Illusion. Gute Beiträge für Projekte entstehen oft bei Tätigkeiten, die nicht der klassischen Arbeit entsprechen, beispielsweise beim Rasen mähen.”
Die Mitarbeiterüberwachung ist berechtigterweise umstritten. Zum einen gelten strenge rechtliche Rahmenbedingungen. Zum anderen kann sich eine offene Überwachung negativ auf die Arbeitsatmosphäre auswirken. Unternehmen können andere Tools einsetzen, um ihre Mitarbeiter bei der Organisation und Produktivitätssteigerung zu unterstützen. Hier eignen sich beispielsweise Zeiterfassungssysteme. Mit diesen kann die für Aufgaben aufgewendete Zeit gemessen werden und Prozesse optimiert werden.
Weitere Möglichkeiten, um die Arbeitsleistung und Motivation der Mitarbeiter zu steigern, ohne diese erhöhtem Stress auszusetzen wären tägliche Meetings, monatliche Feedbacks und regelmäßige persönliche Überprüfungen durch Manager. Weiterhin unterstützen Kollaborations-Tools die Zusammenarbeit im Team.
Welche Eigenschaften charakterisiert eine gute digitale Führungskraft?
Stefan Scheller rät Führungskräften, die Teams auch digital (oder noch anspruchsvoller: hybrid) führen wollen, dass sie sich eingestehen müssen, dies möglicherweise noch nicht aus dem Effeff zu beherrschen. “Denn nur durch diese Offenheit, entsteht auch ein Anreiz zu lernen. Denn wie so oft beschrieben, ist Führung auch Handwerk – und lässt sich entsprechend lernen.”
Mario Neumann zufolge sind “Führungskräfte immer mehr in der Funktion als Katalysatoren und Inspiratoren gefordert. Die größte Veränderung aber lautet: Kontrolle aufgeben, Führung behalten.” Er erklärt, welche Leitplanken dabei zu beachten sind:
- “Es geht nicht mehr darum, Informationen zu sammeln, zu hüten und weiterzuleiten, sondern Führungskräfte müssen in der Lage sein, das Wissen von verteilt arbeitenden Experten zusammenzuführen.
- Eine starke Mitarbeiterorientierung ist ein Muss – ohne kontinuierliches, differenziertes Feedback geht es in der Mitarbeiterführung nicht mehr. Nachrückende Mitarbeiter wollen anders geführt werden als ihre älteren Kollegen.
- Das Gluckenmodell, dem gemäß sich die Mitarbeiter ständig um den Chef drängen wie Küken um eine Henne, funktioniert immer seltener. Diversität der Arbeitsformate ist gefragt und wird weiter stark zunehmen.”
Welche Projektmanagement-Methoden eignen sich für die virtuelle Führung von Remote-Teams?
Bei diesem Punkt teilen sich die Meinungen unserer Experten. Viele sagen ganz klar, dass die Methode abhängig von Projekt und Team sind und eine Pauschalantwort hier falsch ist. “Der Einsatz von Projektmanagement-Methoden hängt nicht vom Unternehmen ab, in dem sie eingesetzt werden, sondern vom Projekt, das gemanagt werden soll,” erklärt Mario Neumann. Holger Zimmermann zufolge “ist die Wahl der Methode unerheblich, denn es ist eine Frage der persönlichen Haltung. Die wichtigste Methode ist jedoch die Beziehungsarbeit.” Christian Botta fügt hinzu: “Wenn die Frage auf agil oder klassisch abzielt: Das hat nichts mit dem Thema remote zu tun.”
Ein Teil der Spezialisten spricht sich dagegen für agile Projektmanagement-Methoden aus. “Agile Methoden waren bereits im klassischen Umfeld überlegen. Während der Pandemie hat sich gezeigt, dass sie auch das Remote-Umfeld dominieren”, erklärt Boris Gloger.
In einer agilen Umgebung schreiben Teams ihre Aufgaben-Blöcke in ein virtuelles Taskboard und haben so transparent und zu jedem Zeitpunkt Einsicht, was getan werden sollte und welche Aufgaben in Arbeit sind. In Online-Whiteboard-Tools können alle Teammitglieder gleichzeitig arbeiten, Anmerkungen vornehmen und miteinander kommunizieren. Die Ergebnisse lassen sich flexibel speichern, exportieren und weiterverarbeiten und auch Personen außerhalb des Unternehmens können unkompliziert Zugriff erhalten. Idealerweise sind die Whiteboard-Tools außerdem in bestehende Team-Kommunikationssoftware, Projektmanagementsoftware, und Dokumentenmanagement-Systeme integrierbar, sodass nahtlos zwischen Arbeitsschritten gewechselt werden kann.
Die Kommunikation ist in virtuellen Teams entscheidend
Selbst wenn die Unternehmensprozesse mit den richtigen Tools für die Zusammenarbeit technisch optimiert wurden, kann die remote Zusammenarbeit mit Beschäftigen dennoch scheitern, warnt Stefan Schneller in seinem Praxisleitfaden zum Home-Office: “Denn viele Unternehmen beschäftigen sich beim Thema mobile Arbeit zwar intensiv mit IT und Infrastruktur, vergessen aber dabei Führung und Kommunikation.”
Kommunikation ist entscheidend für den Erfolg von Projekten. Daher geben unsere Experten uns zum Schluss noch ihre persönlichen Tipps für virtuelle Meetings mit auf den Weg.
Christian Botta findet “regelmäßige Meetings, die aber auch rollierend zwischen den Teammitgliedern organisiert werden” besonders wichtig. Der Projektmanager muss nicht alles organisieren.
Für Christian Lechner ist es gerade in verteilten Teams wichtig auf die Zusammenarbeitsfähigkeit und das Teamgefüge zu achten: “Neben strukturierten Austauschrunden braucht es auch Raum für informellen Austausch, um auch gemeinsam Erfolge oder Geburtstage zu feiern. Je besser das Teamgefüge funktioniert, desto eher werden die räumlichen Distanzen abgebaut.”
Checkliste: Tipps für die virtuelle Führung von remote Teams
Diese sieben wichtigen Tipps sollten wir von den interviewten Projekt- und Personalmanagement Experten mitnehmen:
- Vertrauen, vertrauen, Vertrauen: Vertrauen ist das A und O für jede gelungene Zusammenarbeit. Misstrauen wirkt sich schnell negativ auf die Zusammenarbeit aus.
- Vermeide Mikro-Management: Je früher Führungsverantwortliche sich davon lösen, alles im Detail managen zu wollen, umso besser. Schaffe Kommunikationsstrukturen und lasse dann jeden Mitarbeiter seine Arbeit machen, ohne ständig zu intervenieren.
- Mitarbeiterüberwachung im Home-Office ist nicht sinnvoll: Eine Befähigung zur Achtsamkeit und einer gesunden Selbstfürsorge der Beschäftigten hilft deutlich mehr als Überwachungs-Tools.
- Organisiere regelmäßig auch informelle Treffen: Gemeinsam vor dem Rechner Mittagessen oder den morgendlichen Kaffee einnehmen helfen dem Zusammenhaltsgefühl im Team.
- Auch die Mitarbeiter einbeziehen: Frage deine Mitarbeiter, wie sie sich die Zusammenarbeit vorstellen und lasse Meetings auch von Teammitgliedern organisieren.
- Visuelle Projektmanagementmethoden helfen im Home-Office: Mit virtuellen Taskboards und Online-Whiteboard-Tools haben Teammitglieder transparent Einblick in Aufgaben und können gleichzeitig arbeiten und miteinander kommunizieren.
- Die richtige Projektmanagement-Methode findet man durch Ausprobieren und Reflektieren: Es gibt keine Pauschalantwort auf die Frage nach der passenden Projektmanagement-Methode, sondern es hängt immer vom Projekt, das gemanagt werden soll, ab.