Digitale Barrierefreiheit stellt sicher, dass auch Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen die gleichen Chancen nutzen können. In einer Studie untersuchen wir den aktuellen Stand der digitalen Barrierefreiheit auf Webseiten und geben Tipps zur Umsetzung.
Aufgrund der ab 2025 für Webseiten verpflichtenden gesetzlichen Regelungen zu diesem Thema ist dieser Artikel für alle Unternehmen wichtig zu lesen, die noch keine Maßnahmen zur digitalen Barrierefreiheit umgesetzt haben. Wir haben zwei barrierefreie Website-Checklisten erstellt, die Unternehmen unterstützen sollen.
Für die Studie befragten wir 2.748 Mitarbeiter aus 11 Ländern* aus Unternehmen, mit einer Unternehmenswebseite in den Bereichen E-Commerce, Website-Design/UX, IT, Marketing, Kundendienst und Support/Vertrieb. Aus Deutschland wurden 250 Studienteilnehmer befragt.
Im Fokus stehen die Erfahrungen und Perspektiven von Mitarbeitern, die unmittelbar mit der Gestaltung und Nutzung digitaler Arbeitsumgebungen betraut sind. Unabhängig davon, ob du bereits mit der Umsetzung des Barrierefreiheitsstärkungsgesetz begonnen hast oder noch damit beginnen musst, kann das Wissen um die Herausforderungen und Erkenntnisse anderer Fachleute die Umsetzung erleichtern.
Highlights der Studie:
- 74 % glauben, dass ihr Unternehmen bereits Kunden verloren hat, weil auf ihrer Website barrierefreie Funktionen gefehlt haben.
- In 80 % der Unternehmen hat die Umsetzung der Barrierefreiheit hohe oder sehr hohe Priorität.
- Bei 39 % der Unternehmen, die digitale Zugänglichkeitsfunktionen anbieten, hat sich die SEO-Leistung durch digitale Zugänglichkeitsmaßnahmen verbessert.
Was ist die digitale Barrierefreiheit?
Digitale Barrierefreiheit auf Websites und Barrierefreiheit in Online-Shops bedeutet, dass diese so gestaltet sind, dass sie von allen, auch Menschen mit Behinderungen, ohne Einschränkungen genutzt werden können. Dazu gehören Aspekte wie eine klare und einfache Navigation, ausreichende Kontraste, alternative Textbeschreibungen für Bilder und die Möglichkeit, den Shop vollständig über die Tastatur zu bedienen.
Relevante Gesetze und Richtlinien
Die digitale Barrierefreiheit ist in den vergangenen Jahren immer wichtiger geworden und wird durch eine Vielzahl von Gesetzen und Richtlinien auf nationaler und internationaler Ebene geregelt. Diese Bestimmungen sollen sicherstellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichermaßen Zugang zu digitalen Inhalten und Dienstleistungen haben.
Wichtige Gesetze und Richtlinien:
- Web Content Accessibility Guidelines (WCAG): Dies sind die international anerkannten Richtlinien für barrierefreies Webdesign. Sie bieten detaillierte technische Anforderungen, um sicherzustellen, dass Websites und Webanwendungen für alle zugänglich sind.
- Europäische Accessibility Act (EAA): Der EAA ist eine EU-Richtlinie, die die Barrierefreiheit in einer Vielzahl von Produkten und Dienstleistungen, einschließlich digitaler, vorschreibt.
- Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG): Dies ist ein deutsches Gesetz, das die EU-Richtlinie zur Barrierefreiheit (European Accessibility Act, EAA) in nationales Recht umsetzt. Es trat am 22. Juli 2021 in Kraft und wird ab Juni 2025 verbindlich.
- Landesgesetze: Viele Bundesländer haben eigene Gesetze zur Barrierefreiheit, die oft ans WCAG oder an die EAA und das BFSG anknüpfen.
Die verbindlichen Vorgaben des EAA treten in Deutschland schrittweise in Kraft, wobei der wichtigste Stichtag der 28. Juni 2025 ist. Ab diesem Zeitpunkt müssen zahlreiche Produkte und Dienstleistungen, die neu auf den Markt kommen, die Anforderungen an die Barrierefreiheit erfüllen. Bestehende Websites und Online-Shops, in denen Produkte oder Dienstleistungen erworben oder Verträge abgeschlossen werden können, müssen bis zu diesem Zeitpunkt angepasst werden.
Beispiele für neue Produkte, die den Anforderungen entsprechen müssen sind Selbstbedienungs- & Zahlungsterminals, Geldautomaten, Smart-TVs, Smartphones und Spielekonsolen. Unternehmen, die keine Produkte verkaufen, aber Dienstleistungen anbieten die online gebucht werden können, müssen ihre Webseite barrierefrei gestalten. Beispiele für den digitalen Bereich sind Online-Shops in denen Produkte erworben werden, Online-Buchung und Webseiten zur Veröffentlichung von Nachrichten mit einer Abonnementoption. Für einige Fälle gibt es Übergangsfristen, die vom Produkt abhängig sind.
Höhere Kundenbindung sowie verbesserte SEO und Social Media Performance durch die Umsetzung digitaler Barrierefreiheit
Webseiten und Online-Shops, die es Kunden mit Behinderungen erleichtern, auf ihrer Webseite einzukaufen, eine Dienstleistung abzuschließen usw. erweitern dadurch ihren Kundenstamm. So denken 50 %, dass ihr Unternehmen eine kleine Zahl an Kunden verloren hat, weil auf ihrer Website barrierefreie Funktionen gefehlt haben, 24 % denken, dass es sogar eine große Kundenanzahl betraf.
Es gibt viele Gründe, die dafür sprechen, digitale Barrierefreiheit im Internet zu implementieren. Neben den offensichtlichen Gründen, dass sie versucht dafür zu sorgen, dass alle Menschen die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben, Unternehmen ihren Kundenstamm erweitern und die Umsetzung ab dem nächsten Jahr rechtlich verpflichtend ist, haben unsere Umfrageteilnehmern diese drei Hauptvorteile erzielt, die sich auf alle Kunden und nicht nur auf Menschen mit Behinderungen beziehen:
- Höhere Kundenbindung (53 %)
Barrierefreie Webseiten schaffen ein inklusives Erlebnis und sind auch oft für Nutzer ohne Behinderungen einfacher zu bedienen, was zu einer insgesamt besseren Nutzererfahrung für alle Kunden führt. Unternehmen, die sich für Barrierefreiheit einsetzen, werden oft als sozial verantwortlich wahrgenommen, was das Markenimage stärkt.
- Eine größere Zielgruppe erreichen/die SEO-Performance verbessern (39 %)
Suchmaschinen wie Google bevorzugen barrierefreie Webseiten in ihren Suchergebnissen, was zu höheren Rankings führt. Je höher eine Webseite in den Ranking-Ergebnissen kommt, desto größer ist auch die Zielgruppe, die damit erreicht wird.
- Verbesserte Performance in den sozialen Medien (39 %)
Zufriedene Kunden teilen ihre positiven Erfahrungen gerne in sozialen Medien. Weiterhin gibt es weniger negative Rückmeldungen und Beschwerden von Nutzern mit Behinderungen sowie von unzufriedenen Nutzern, die mit dem Webseiten-Layout und der Bedienung Schwierigkeiten haben.
Deutschland schneidet im Ländervergleich beim Thema digitale Barrierefreiheit gut ab
Das Thema digitale Barrierefreiheit gewinnt zunehmend an Bedeutung, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Wirtschaft. Jeweils 40 % der Studienteilnehmer aus Deutschland geben an, dass die Umsetzung der Barrierefreiheit in ihrem Unternehmen hohe oder sehr hohe Priorität hat.
Die digitale Barrierefreiheit wird bereits in einem Großteil der Unternehmen weltweit angegangem. Im Durchschnitt geben 73 % an, Funktionen dafür auf ihrer Webseite anzubieten. In Deutschland liegt dieser Wert mit 79 % drüber.
Wir haben nicht danach gefragt, in wie vielen Unternehmen die Barrierefreiheit vollständig umgesetzt ist. Hierfür fehlt eine einheitliche Definition was genau unter "vollständiger Umsetzung" verstanden wird. Jedoch fragten wir nach den wichtigen Funktionen der Barrierefreiheit und deren Umsetzung.
Welche Funktionen der Barrierefreiheit auf deutschen Websites bereits umgesetzt sind
Deutsche Websites setzen bereits eine Vielzahl von Funktionen zur Barrierefreiheit um, um den Zugang für Menschen mit Behinderungen zu erleichtern.
Welche Funktionen gibt es jedoch konkret, um Menschen mit diesen Einschränkungen zu helfen? In der folgenden Checkliste siehst du, welche Maßnahmen du umsetzen kannst, um Menschen mit Behinderungen fairen Zugang zu deinen Informationen und Produkten zu verschaffen. Weiterhin bekommst du einen Einblick, wie viele Studienteilnehmer aus Deutschland angeben, dass die Funktion auf der Webseite ihres Unternehmens bereits vorhanden ist, um zu überprüfen, wie du im Vergleich zu deinen Mitweberbern aufgestellt bist.
Barrierefreie Website-Checkliste:
- Die Größe von Text ändern, zoomen oder Text hervorheben (50 %): Diese Funktion ermöglicht es Nutzern, die Schriftgröße anzupassen, um Inhalte besser lesen zu können. Dies ist besonders wichtig für Menschen mit Sehschwächen.
- Videountertitel und Transkripte (49 %): Untertitel ermöglichen es gehörlosen oder schwerhörigen Menschen, Videos zu verstehen. Transkripte sind schriftliche Fassungen von Audioinhalten und bieten eine zusätzliche Möglichkeit, Inhalte zu konsumieren.
- Kompatibilität mit Bildschirmlesegeräten (40 %): Damit diese Geräte funktionieren, muss die Webseite so strukturiert sein, dass die Software die Inhalte korrekt interpretieren kann.
- Beschreibende Links (40 %): Anstatt nur eine URL anzuzeigen, sollten Links mit beschreibenden Wörtern versehen sein. So versteht der Nutzer sofort, wohin der Link führt, ohne ihn anklicken zu müssen.
- Tastaturnavigation (40 %): Diese Funktion ermöglicht es Nutzern, eine Webseite vollständig mit der Tastatur zu bedienen. Dies ist besonders wichtig für Menschen, die keine Maus verwenden können.
- Anpassung von Farbe und Sättigung (39 %): Diese Funktion ermöglicht es Nutzern, die Farben auf einer Webseite anzupassen, um beispielsweise Kontraste zu erhöhen oder bestimmte Farben zu filtern. Dies kann für Menschen mit bestimmten Sehbehinderungen hilfreich sein.
- Text-to-Speech-Funktionen (42 %): Diese Funktion ermöglicht es, Texte vorlesen zu lassen. Sie kann für Menschen mit Lese- oder Lernschwierigkeiten hilfreich sein.
- Alt-Text für Bilder (32 %): Dieser Text beschreibt den Inhalt eines Bildes für Nutzer, die das Bild nicht sehen können (z.B. blinde oder sehbehinderte Menschen). Bildschirmlesegeräte wandeln den digitalen Text auf einer Website in gesprochene Sprache um, so dass der Benutzer versteht, was auf dem Bild zu sehen ist.
- Entfernung von blinkenden Elementen (32 %): Blinkende Elemente können bei Menschen mit Epilepsie oder anderen neurologischen Erkrankungen Anfälle auslösen. Daher sollten sie vermieden werden.
Ist Deutschland auf den European Accessibility Act, der 2025 in Kraft tritt, vorbereitet?
Etwas mehr als ein Drittel der Webseiten (36 %) haben bereits dafür gesorgt, dass sie am Stichtag der EAA konform mit den Regelungen sind. 42 % haben einen Plan gemacht, der jedoch noch nicht umgesetzt ist, während 14 % noch keine Pläne zur Umsetzung des Gesetzes gemacht haben.
Um sicherzustellen, dass dein Unternehmen gut vorbereitet ist, solltest du folgende Punkte überprüfen und umsetzen.
Barrierefreie Website-Checkliste zur Vorbereitung auf den European Accessibility Act:
- Betroffene Produkte und Dienstleistungen identifizieren: Erstelle eine umfassende Liste aller Produkte und Dienstleistungen, die von dem EAA betroffen sind (beispielsweise: Computer, Smartphones, Software, E-Books und digitale Publikationen sowie Bankdienstleistungen).
- Rechtliche Anforderungen verstehen: Verschaffe dir ein umfassendes Verständnis der spezifischen Anforderungen des EAA informiere dich über Landesgesetze.
- Accessibility Audit durchführen indem du folgende Aspekte überprüfst:
- Wahrnehmbarkeit (z.B. ausreichende Farbkontraste, alternative Texte)
- Bedienbarkeit (z.B. Tastaturbedienbarkeit, Vermeidung von Zeitbegrenzungen)
- Verständlichkeit (z.B. klare und einfache Sprache, logische Struktur)
- Robustheit (z.B. Kompatibilität mit assistierenden Technologien)
4. Technische Anpassungen vornehmen: Ergreife die notwendigen technischen Maßnahmen, um deine Produkte und Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten, und verwende geeignete Tools (Browsererweiterungen) zur Überprüfung der Barrierefreiheit, wie WAVE, aXe oder Lighthouse.
5. Prozesse und Arbeitsabläufe anpassen: Integriere Barrierefreiheit von Anfang an in deinen Entwicklungsprozess und biete Mitarbeitern Schulungen zur Barrierefreiheit an.
6. Konformitätserklärung erstellen und Maßnahmen dokumentieren: Erstelle eine Konformitätserklärung, in der bestätigt wird, dass alle Produkte und Dienstleistungen den Anforderungen des EAA entsprechen und führe eine umfassende Dokumentation aller durchgeführten Maßnahmen zur Barrierefreiheit.
7. Monitoring und Verbesserung:Überwache kontinuierlich die Barrierefreiheit und arbeiten eng mit Personen mit Behinderungen zusammen, um ihre Bedürfnisse und Erfahrungen einzubeziehen und die umgesetzten Maßnahmen weiter zu verbessern.
Die Komplexität von IT oder Software ist die größte Herausforderung bei der Umsetzung
Auch wenn das Thema bereits auf den meisten Webseiten angegangen wird, begegnen Unternehmen Herausforderungen.
Werfen wir einen Blick auf die drei meistgenannten Herausforderungen und weshalb diese schwierig für Unternehmen zu meistern sind:
Komplexität von IT oder Software: Die Richtlinien zur digitalen Barrierefreiheit, wie die WCAG, sind umfangreich und beinhalten eine Vielzahl technischer Anforderungen. Die korrekte Implementierung erfordert oft spezielle Kenntnisse in HTML, CSS und JavaScript. Die Anpassung bestehender Websites und Anwendungen, die auf veralteten Technologien basieren, kann zeit- und ressourcenaufwändig sein. Stelle sicher, dass du einen nachhaltigen langfristigen Plan aufstellst, der deine üblichen Arbeitsabläufe nicht unterbricht.
Mangelndes Bewusstsein über Anforderungen/Bedürfnisse bei der digitalen Barrierefreiheit: Einige Mitarbeiter sind sich nicht immer bewusst, wie sich Behinderungen auf die Nutzung digitaler Produkte auswirken. Weiterhin werden die Größe und das Kaufverhalten von Menschen mit Behinderungen werden oft unterschätzt.
Schwierigkeiten, den Mehrwert von digitalen Barrierefreiheitsmaßnahmen aufzuzeigen: Viele Vorteile der Barrierefreiheit, wie beispielsweise ein verbessertes Image oder eine stärkere Kundenbindung, zeigen sich erst langfristig und können nicht schnell gemessen werden. Die Umsetzung von Barrierefreiheitsmaßnahmen ist oft mit Kosten verbunden. Die Vorteile werden möglicherweise nicht sofort in monetärer Form angezeigt.
Eine komplexe Aufgabe, die sich für Unternehmen jedoch lohnt
Die Umsetzung von digitaler Barrierefreiheit ist für Unternehmen eine komplexe Aufgabe, die technische, organisatorische und kulturelle Herausforderungen birgt. Um diese Herausforderungen zu meistern, sind Sensibilisierung, Schulungen, langfristige Strategien und eine klare Kommunikation der Vorteile von Barrierefreiheit unerlässlich.
Webseiten, die Funktionen der Barrierefreiheit umsetzen, beziehen dadurch nicht nur neue Kunden mit Behinderungen ein, sondern können insgesamt ihren Kundenstamm vergrößern, indem sie die Kundenzufriedenheit, ihr Markenimage und ihre SEO und Social Media Performance verbessern.
In dem nächsten Teil unserer Studie wollen wir die Frage klären, inwieweit sich die digitale Barrierefreiheit finanziell lohnt, welche weiteren Vorteile Unternehmen langfristig daraus ziehen können und wie sie diese am besten messen.
Methodik
*Die Umfrage zur digitalen Barrierefreiheit von Capterra wurde im Juli 2024 unter 2.748 Befragten in den USA (n=250), Kanada (n=250), Brasilien (n=250), Mexiko (n=250), Großbritannien (n=250), Frankreich (n=248), Italien (n=250), Deutschland (n=250), Spanien (n=250), Australien (n=250) und Japan (n=250) durchgeführt. Ziel der Studie war es, die Bemühungen der Unternehmen um digitale Barrierefreiheit zu verstehen. Die Befragten wurden daraufhin überprüft, ob sie in Vollzeit oder Teilzeit in den Bereichen E-Commerce, Website-Design oder UX, IT, Marketing, Kundendienst und Support oder Vertrieb tätig sind. Zu den Befragten gehörten auch Geschäftsinhaber oder Führungskräfte. Alle Befragten müssen angeben, dass sie eine Unternehmenswebsite haben.