Jetzt spinnt er, denken Sie vermutlich. Projektmanagement boomt doch, Zertifizierungsstellen für Projektmanager schreiben immer höhere Gewinne und Jobportale platzen fast vor lauter Projektmanagementstellen. Das Thema Agilität ist der Renner schlechthin und Scrum Master sprießen wie Pilze aus dem Boden. Diesen Fakten stimme ich gerne zu, aber ich vertrete die These, dass wir in Zukunft weder den Projektleiter in seiner Funktion als Alleskönner und Superheld benötigen noch den Scrum Master, der sich absolut selbstlos in den Dienst des Teams stellt und stets altruistisch als Facilitator, Trainer und Coach fungiert. Gerade in Zeiten von wachsender Komplexität und Unsicherheit wird weder das eine noch das andere Extrem zum dauerhaften Erfolg führen. Aber Schritt für Schritt. Lassen Sie mich Ihnen zunächst drei kleine fiktive Projektgeschichten über wahre Projekthelden des traditionellen Projektmanagements erzählen.

Projekthelden

Die Firma Notrust steht vor einem großen IT-Rollout-Projekt. Allerdings traut die Firmenleitung keinem ihrer Mitarbeiter so recht die Projektleitung zu. Die Stelle des Projektleiters wird extern ausgeschrieben – und die Suche ist erfolgreich. Nach wenigen Wochen betritt Alexander Smart die heiligen Hallen der Firma Notrust. Bewaffnet mit einem schwarzen Anzug, einem nigelnagelneuen MacBook und einem ganzen Sack voll mit Projektmanagementzertifikaten. Zwischenmenschliches ist ihm nicht ganz so wichtig, denn schließlich war ja keiner der Kollegen geeignet, ein derartig anspruchsvolles Thema umzusetzen. Jahrelange Unternehmensprozesse ignorierte er zielsicher, denn er hat es ja schwarz auf weiß bestätigt, dass er weiß, wo der Hase langläuft. Auf das Team wirkt das anders: Für sie ist Alexander ein arrogantes, dahergelaufenes Greenhorn, welches versucht, theoretisches Wissen 1:1 auf ihr Unternehmen zu übertragen. Aber da sind sich die Kollegen sicher: nicht mit ihnen! Und so kommt es dann auch. Die Mitarbeiter lassen ihn auflaufen. In den Unternehmensprozessen stößt er schnell an seine Grenzen. Und schließlich ist er wieder genauso schnell verschwunden, wie er gekommen ist. Das Projekt steht noch in etwa da, wo es vor seiner Ankunft stand, nur die Stimmung ist jetzt schlechter.

Aber es gibt noch weitere Helden. Nehmen wir zum Beispiel Ulla Tentakel. Sie ist im Gegensatz zu Alexander Smart sehr erfahren, sie redet auch mit den Leuten, aber fährt trotzdem jedes Projekt gegen die Wand. Denn Ulla weiß alles und vor allen Dingen weiß sie alles besser. Nichts und niemand kann ihre Qualitätsansprüche annähernd erfüllen, nicht umsonst hat sie von den Kollegen den Spitznamen „Krake“ verliehen bekommen. Jede Aufgabe reißt sie wie ein Magnet an sich und sollte sie doch einmal etwas delegieren, dann ist das Ergebnis meist nicht zufriedenstellend. Denn Ulla hat Ansprüche auf einem anderen Level. Nicht umsonst ist sie als Erste im Büro und macht abends das Licht aus. Komischerweise scheitern die meisten ihrer Projekte und die Mitarbeiter sind frustriert. Und Ulla selbst? Nun, die ist mit Burn-out krankgeschrieben. Die anstrengende Projektarbeit, die ständig fordernden Chefs und diese dilettantischen Mitarbeiter haben sie krankgemacht.

Kommen wir zum Abschluss noch zu Ernst Bruckner, dem Meister des CYAs. Kennen Sie das Akronym CYA? Nein? Es steht für „cover your ass“. Ernst plante stets seine Verteidigung im Vorfeld.  Berühmt war er für seinen Spruch „Bei mir ist alles grün“. Wichtig war also, dass er gut dastand.  Wie es um das Projekt tatsächlich bestellt war, war zweitrangig. Ernst war auch ein großer Freund – wenn nicht gar der Erfinder – des Wassermelonen-Reportings. Nach außen wirkte das Projekt grün, aber in Wirklichkeit, also im Inneren war es tiefrot. Für Ernst war sein ungetrübtes Verhältnis zum Auftraggeber die oberste Prämisse. Denn der musste überzeugt davon sein, dass Ernst der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort sei. Ein weiterer entscheidender Erfolgsfaktor in Ernsts Projektwelt war das strikte Einhalten von Unternehmensprozessen. Denn schließlich hatten diese sich über Jahrzehnte bewährt.

In der agilen Welt wird alles besser

Sicherlich stimmen Sie mir zu, wenn ich Ihnen sage, dass wir auf diese zuvor genannten Typen in unserem Berufsalltag gerne verzichten können. Außerdem wird momentan ohnehin alles agil gemacht. Wir wechseln von Management zu Führung, wir ersetzen den Projektmanager durch einen Servant Leader, wie den Scrum Master, und alles wird gut. Aber wird es das wirklich?

Wie werden agile Manager ausgebildet? Nun, wenn man es clever anstellt, macht man einen 2-Tageskurs, kreuzt richtig in einem Multiple-Choice-Test an und kann sich danach Professional Scrum Master nennen. Aber wo ist dann der Unterschied zu Alexander Smart, dem Protagonisten aus unserer ersten Projektgeschichte? Glauben Sie wirklich, dass man Scrum Master mal so schnell nebenbei wird? Die Kollegen von it-agile fassen die Aufgaben eines Scrum Masters wie folgt zusammen: „Der Scrum Master ist verantwortlich für einen erfolgreichen Prozess des Scrum-Teams. Und dieses Ziel kann der Scrum Master nicht erreichen, wenn er sich nur um das Team kümmert. Er muss auch die organisatorischen Randbedingungen so verändern, dass das Team sich entfalten kann.“ IT-Agile hat darüber hinaus aber noch 44 weitere Aufgaben für einen Scrum Master identifiziert. Wenn man sich diese Punkte in Ruhe zu Gemüte führt, ist der ideale Scrum Master eine Mischung aus Team-Assistent, Coach, Enabler, Moderator, Konfliktlöser, Problemlöser, Organisator, Facilitator, Ausbilder, Schutzschild, Unterstützer, Scrum-Marketing-Manager, Scrum-Prozess-Verantwortlicher und noch so manches mehr – also auch ein Held, der einen riesigen Berg an Aufgaben bedienen muss. Und dazu noch ein Held, der sich nahezu ausschließlich in den Dienst der anderen stellt, sozusagen vollkommen altruistisch wirkt. Aber Hand aufs Herz: Sucht nicht jeder Mensch nach Anerkennung, nach persönlichen Erfolgserlebnissen, und kann er diese nur aus dem Erfolg der anderen ziehen? Und hat ein Arbeitstag für einen Scrum nicht auch nur 8 Stunden? Manchmal wirkt es auf mich so, als müsse ein agiler Leader auf das alles verzichten und seinen Sinn ausschließlich daraus zu ziehen, rund um die Uhr andere zu befähigen.

Selbstverständlich überspitze ich bewusst an dieser Stelle. Aber ich will sensibilisieren. Genauso wenig, wie eine Firma durch die Einführung von Scrum agil wird, werden Sie durch einen Kurs ein guter Scrum Master oder Projektleiter. Im Gegenteil. Gute Scrum Master benötigen Erfahrung und jede Menge Softskills (wie z. B. Empathie, Vertrauen und Geduld) gepaart mit einem möglichst prall gefüllten Methodenkoffer. Darüber hinaus sollte im Vorfeld klar geklärt werden, welche Entscheidungsbefugnis ein agiler Projektmanager hat und wofür er genau zuständig ist. Denn er braucht Handlungsfreiheit. Wenn er sich ausschließlich an die vorgegebenen Prozesse hält (z. B. des Scrum-Frameworks), kann es schnell passieren, dass nicht mehr der Erfolg des Projektes im Vordergrund steht, sondern seine Verhaltensweise, die ähnlich der von unserem CYA-Experten Ernst Bruckner ist. Oder um es mit den Kollegen von over the fence zu sagen: Wenn Sie denken, dass agile Methodik immer des Rätsels Lösung ist, sind Sie alles andere als agil.

Agiles Projektmanagement

Mein Plädoyer für Projektmacher

Aber was brauchen wir dann für Typen, um Projektarbeit in Zukunft erfolgreich zu machen? Um es vorwegzunehmen: Eine Patentlösung habe ich auch nicht. Aber es gibt ein paar Dinge, die ich für Projektmacher (ich habe bewusst einen anderen Terminus gewählt) für essenziell halte:

1. Orientierung & Klärung

Orientierung gibt Sicherheit. Projektmacher geben Projektvisionen vor. Es geht dabei nicht darum, möglichst klar SMARTe Projektziele zu definieren. Nein, es geht vielmehr darum, mit Ihrem Team ein gemeinsames Verständnis für die zu bewältigende Aufgabe zu erzielen. Aber nicht nur die gemeinsame Projektvision ist essenziell für den Erfolg eines Projektes, nein, auch eine eindeutige Rollenklärung schafft Klarheit und somit Sicherheit bei allen Beteiligten. Warum die so wichtig ist, beschreibt Monika Burg wie folgt: „Wenn man seinen Job gut macht und Leistung bringt, steigt auch das Selbstwertgefühl. Wenn man nicht weiß, wofür man zuständig ist, schwimmt man und dieses Gefühl nagt am Selbstwert.“ Als Werkzeuge zur Orientierung und Klärung eignen sich sehr gut Facilitation-Werkzeuge wie ein Projekt-Canvas oder das Role Model Canvas.

2. Authentizität, Mut und Vorbildfunktion

Mitarbeiter wünschen sich authentische Chefs. Projektmacher führen klar, sie sorgen für Transparenz und kommunizieren klar. Sie agieren nicht sprunghaft, sondern agieren mit Haltung und sind sich ihrer Vorbildfunktion bewusst. Sie treffen Entscheidungen, auch wenn diese unentscheidbar sind. Projektmacher sind also mutig. Den Spruch „wir machen das so, weil wir es immer schon so gemacht haben“ streichen sie aus ihrem Wortschatz, denn Projektmacher sind bereit, ausgetretene Pfade zu verlassen und neue Impulse zu setzen. Projektmacher sind experimentierfreudig und bereit, Fehler zu machen und daraus zu lernen.

3. Reflektieren, Einbinden und Vertrauen

Projektmacher beanspruchen nicht den Status der Allwissenheit.  Nein, sie tauschen sich aus, binden ein und geben Feedback. Eine stetige Reflexion der eigenen Rolle und der Prozesse im Team ist für den Projektmacher unabdingbar. Sie agieren mit Prinzipien statt Regeln, vertrauen und binden ihre Teams ein. Dies kann zum Beispiel durch Gamification-Ansätze wie Delegation Poker erfolgen. Projektmacher unterstützen ihre Teams und geben ihnen Halt.

Wenn Sie weitere Inspirationen für die Arbeit von Projektmachern möchten, sollten Sie einen Blick auf folgende Blogs werfen:

Wie Sie sehen, glaube auch ich daran, dass es in Zukunft Projekte geben wird – wenn auch weniger, wie in meinem Artikel über die Zukunft des IT-Projektmanagements beschrieben. Folglich werden wir in Zukunft auch Bedarf an Projektmanagern und Scrum Mastern (oder wie sie auch immer heißen mögen) haben. Wir werden aber weniger Helden benötigen, sondern authentische Menschen mit Haltung, denen es wichtig ist, ein Projektziel mit ihrem Team gemeinsam zu erreichen, und die dafür brennen: Projektmacher eben.