Die Medizin durchläuft eine digitale Transformation, die Digitalisierung im Gesundheitswesen schreitet voran. Die digitale Vorsorge gelangt auf die Smartphones der Patienten: Gesundheits-Apps, die z.B. den Puls oder Zuckerhaushalt messen, kommen durch die Krise immer mehr zum Einsatz. Sprechstunden können per Videokonferenz abgehalten werden, die Patientenakte und Rezepte werden digital und Arzt-Termine werden per Chatbot vergeben. Durch die digitale Vernetzung können Behandlungsprozesse individualisiert und optimiert werden.
Insbesondere die künstliche Intelligenz (KI) erobert das Gesundheitswesen. KI kann in kürzester Zeit große Datenmengen kombinieren und analysieren und daher in der klinischen Entscheidungsfindung, der medizinischen Diagnostik, der Überwachung chronischer Krankheiten und Roboter-assistierten Chirurgie eingesetzt werden.
Nachdem wir im ersten Teil der Telemedizin-Studie die Nutzung, Behandlungen und Vorteile von Telemedizin in Deutschland untersucht haben, wollen wir jetzt wissen, wie Patienten zur Digitalisierung des Gesundheitswesens, der Einführung von Telemedizin, KI und Gesundheits-Apps stehen.
Capterra hat dafür mehr als 4000 Patienten aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Großbritannien befragt, die innerhalb der letzten 12 Monate einen Termin im Gesundheitswesen wahrgenommen haben (die vollständige Umfrage-Methodik befindet sich am Ende des Artikels). Der Artikel konzentriert sich auf die Ergebnisse aus Deutschland (1047 Teilnehmer).
Telemedizin-Nutzung in Deutschland vs. weltweit
Die Umfrage zeigt, dass die Telemedizin international noch nicht vollständig eingeführt ist. Im Durchschnitt gaben 39 % der Teilnehmer aus den befragten Ländern an, schon einmal eine Telekonsultation durchgeführt zu haben, während 61 % angaben, dies nicht getan zu haben.
Spanien führt mit 62 % bei der Nutzung von Telemedizin-Konsultationen, während Deutschland mit 17 % an letzter Stelle abschneidet. Deutschland stand was Telemedizin angeht einigen Herausforderungen entgegen, wie dem mangelnden flächendeckenden Breitbandausbau, der Schulung von medizinischem Fachpersonal und der mangelnden Erstattungsfähigkeit der Leistungen. Hinzu kommen Datensicherheitsbedenken und eine langsamere Adaption von neuen Technologien.
Digitalisierung im Gesundheitswesen durch künstliche Intelligenz
KI kann in kürzester Zeit große Datenmengen kombinieren und analysieren. Die Technologie kann in verschiedenen Bereichen im Gesundheitswesen eingesetzt werden. Im Folgenden wollen wir vier Beispiele aufführen, um die Einsatzbereiche der KI zu erläutern.
1. Chatbots
Chatbots nutzen künstliche Intelligenz, um menschenähnliche Gespräche mit Patienten zu führen. Sie können Patienten nach Informationen fragen und Antworten auf jede Situation geben, die auf dieser Interaktion basiert. Beispielsweise kann ein Patient seine Symptome in einen Chat eingeben und das System kann entscheiden, ob er einen Termin mit einem Arzt vereinbaren soll z. B. durch den Vergleich mit einer Datenbank früherer Antworten.
2. Krankheiten diagnostizieren
Die künstliche Intelligenz kann lernen, Muster zu erkennen. Im Gegensatz zum Arzt, brauchen die Algorithmen sehr viele konkrete und digitalisierte Beispiele, um daraus eine Diagnose zu stellen. In Bereichen, in denen digitale Informationen vorliegen, kann die künstliche Intelligenz sehr hilfreich sein. Oftmals hapert es jedoch noch an der Bereitstellung genügender digitaler Daten im Medizinbereich. „In Krankenhäusern entsteht jeden Tag eine Fülle von Daten, die sich nur mit KI nutzenstiftend auswerten lassen. Dafür müssen die Daten jedoch qualitativ hochwertig, leicht verfügbar und nutzbar für KI Anwendungen sein. Das ist oftmals nicht der Fall,“ meint Hendrik Reese, PwC-Experte für Künstliche Intelligenz.
3. Behandlung personalisieren
Einen personalisierten Behandlungsplan aufzustellen, erfordert eine komplizierte statistische Arbeit, da viele verschiedene Faktoren die Wahl der Behandlung beeinflussen. Dies kann von der Maschine übernommen werden und somit kann sie helfen, genauere Behandlungspläne zu erstellen und menschliches Versagen zu reduzieren. KI vergleicht ähnliche Patientenakten miteinander, um so eine Behandlung vorzuschlagen, die dem Arzt helfen kann, die richtige Wahl zu treffen.
4. Roboter-assistierte Chirurgie
Die künstliche Intelligenz kann im OP-Saal eingesetzt werden. Die Operationsroboter erlauben Eingriffe mit hoher Präzision, eine hochauflösende dreidimensionale Sicht und eine vollständige Bewegungsfreiheit. Jedoch werden auch hier genügend digitale Daten benötigt, woran es zum jetzigen Zeitpunkt noch oft mangelt.
Sind Patienten bereit für die Übernahme medizinischer Aufgaben durch KI?
Aus unserer Studie geht hervor, dass die Patienten ein allgemeines Unbehagen empfinden, wenn künstliche Intelligenz eine Diagnose stellen oder Medikamente verschreiben soll. Das Vertrauen in diese Analysesysteme ist noch nicht vorhanden. Die Mehrheit der Befragten gibt auch an, dass sie sich nicht wohl dabei fühlen, ihre Krankengeschichte mit einem virtuellen Assistenten zu teilen.
Dennoch ist die Mehrheit (57 %) der Befragten der Meinung, dass es wichtig oder sehr wichtig ist, künstliche Intelligenz und andere Technologien einzusetzen, um das Patientenerlebnis zu verbessern. Patienten fühlen sich mit der Anwendung von KI unwohl, erkennen aber die Notwendigkeit. Hier ergibt sich eine Chance, Patienten mit der neuen Technologie vertraut zu machen und sie darüber aufzuklären.
Datenschutzbedenken bei der Weitergabe von persönlichen Informationen
Wir wollten wissen, wie sehr sich Patienten um den Schutz der Daten, die sie mit ihrem Arzt/Krankenhaus teilen, sorgen. 46 % der Patienten geben an sehr (8 %) bzw. etwas besorgt (38 %) zu sein. Die meisten Patienten (56 %) bevorzugen ihre Krankengeschichte und andere Informationen persönlich bei einer Pflegeperson zu teilen oder im Wartezimmer auszufüllen.
Die telemedizinische Betreuung bedarf einer besonderen technischen Sicherung der Daten, was aufgrund der teils veralteten Infrastruktur schwierig ist. Computersysteme in Kliniken und Arztpraxen sind oft stark veraltet und bieten daher Angriffsflächen. Hackerangriffe auf Krankenhäuser finden vermehrt statt. Beispielsweise konnte die Düsseldorfer Uniklinik im September 2020 wegen eines Hackerangriffs nicht mehr bei der Notfallversorgung mitwirken. Der Einsatz von Cybersicherheits-Software ist unbedingt notwendig. Die Software soll den unbefugten Zugriff auf elektronisch gespeicherte Daten verhindern und Unternehmen vor Datendiebstahl, bösartigen Daten und Systemnutzung durch Dritte schützen.
35 % der Patienten nutzen Gesundheits-Apps
Die meisten Patienten fühlen sich nicht wohl mit der künstlichen Intelligenz für medizinische Funktionen, aber was ist mit der Nutzung von Gesundheitstechnologie, um Aktivitäten des täglichen Lebens zu analysieren? Zum Beispiel: Mobile Gesundheits-Apps. Diese Technologie ermöglicht es dem Anwender, verschiedene gesundheitsbezogene Aktivitäten (wie Bewegung, Schlaf und Diät) zu überwachen, aufzuzeichnen und zu analysieren. Unsere Studie zeigt, dass 38 % der Befragten weltweit mindestens eine solche Anwendung nutzen. In Deutschland sind es 35 %. Folgende Anwendungen werden dabei von deutschen Patienten am häufigsten genutzt:
Die Mehrzahl der Befragten, die eine Gesundheits-App nutzen (75 %), haben diese ohne ärztliche Empfehlung installiert. 32 % machen sich darüber Sorgen, wie viele Daten sie mit den Anbietern von Gesundheits-Apps teilen und was diese damit machen können (Weitergabe an Dritte, gezielte Werbung usw.). Hier lässt sich ein Widerspruch erkennen. Deutsche legen einerseits sehr hohen Wert auf Datensicherheit, geben aber andererseits ihre Daten in diesen Apps her.
Gesundheitsdienstleister sollten bei der Softwareentwicklung die Sicherheit der App an erste Stelle setzen. Gesundheits-Apps verarbeiten sensible Patientendaten. Sollten die Informationen durchgesickert, verlieren Unternehmen aufgrund der Datenschutzverletzung ihre Kunden.
74 % haben sich online noch nie zu ihrer psychischen Gesundheit beraten lassen
Die Telepsychologie stellt eine bequeme Methode dar, um Menschen, die nur unzureichend Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung haben, eine Reihe von psychologischen Diensten anzubieten. Telemonitoring-Konsultationen ermöglichen es den Patienten, ihre Krankheiten zu Hause zu behandeln und auch näher an ihren Unterstützungssystemen zu bleiben. Auch nehmen Online-Konsultationen häufig das erste Hindernis, persönlich beim Arzt aufzutauchen.
Die WHO hat Leitlinien für die Aufrechterhaltung grundlegender Dienstleistungen (einschließlich psychischer Gesundheitsdienste) während der COVID-19 herausgegeben und empfiehlt Ländern, Ressourcen für die psychische Gesundheit als integralen Bestandteil ihrer Reaktionspläne zuzuweisen. In der WHO-Studie berichteten mehr als 80 % der einkommensstarken Länder über den Einsatz von Telemedizin und Teletherapie, um die Lücken zu schließen, die durch Störungen der psychischen Gesundheitsdienste während der Pandemie verursacht wurden. Auch wenn in Deutschland die Nutzung von Telemedizin noch schleppend verläuft, könnte es in Zukunft weitere Impulse geben.
In Deutschland haben sich lediglich 26 % der befragten Patienten zu ihrer psychischen Gesundheit beraten lassen, jedoch kann vermutet werden, dass diese Zahl in den nächsten Jahren aufgrund einer höheren Akzeptanz und der Nutzung von Telepsychologie steigen wird.
Digitalisierung im Gesundheitswesen: Wie sieht die Zukunft aus?
Die Nutzung von Telemedizin wird mehr vom Staat angekurbelt. So verabschiedete der Bundestag am 06.05. ein neues Gesetz für die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Der Gesundheits- und Pflegebereich soll digitaler werden und damit den Patienten das Leben erleichtern. Das Gesetz sieht unter anderem Vereinfachungen bei Videosprechstunden und elektronischen Rezepten vor. Das Gesetz stellt ein neues Verfahren vor, damit Krankenkassen die Kosten für neue digitale Angebote erstatten.
Patienten brauchen noch mehr Zeit, um sich mit der Telemedizin anzufreunden. Pflegepersonal muss erst mehr geschult werden, die Nutzung weiter verbreitet und leichter zugänglich gemacht werden sowie Datensicherheitsprobleme beseitigt werden. Der erste Schritt wurde jedoch vom Staat bereits gemacht.
Die Vorteile der künstlichen Intelligenz im medizinischen Bereich liegen auf der Hand. Jedoch muss das deutsche Gesundheitswesen erstmal weiter digitalisiert werden, damit auch alle Vorteile nutzbar sind. Auch die Investition in eine verbesserte Infrastruktur, um die Datensicherheit zu erhöhen, ist notwendig.
Was heißt das für medizinisches Fachpersonal?
Ärzte, die Telemedizin-Anwendungen anbieten möchten, stehen vor der Herausforderung sowohl Mitarbeiter als auch Kunden davon zu überzeugen: Dies können sie durch nachvollziehbare Konzepte, ein hohes Datensicherheitsniveau und viele Informationen. Eine Implementierung kann nur gelingen, wenn sowohl Mitarbeiter als auch Kunden mitziehen.
Die Anwendung künstlicher Intelligenz ist im Gesundheitswesen breit gefächert und beschränkt sich nicht auf die Pflege von robotergestützten Chats. Wollen Ärzte, die Technologie einsetzen, müssen sie vor der Einführung von konkreten Tools definieren, auf welche Aktivitäten sie sich mithilfe von KI verlassen möchten.
Auch die Komplexität und Sicherheitslücken, die mit dem effizienten Management großer Datenmengen, die bei der Ferndiagnose und -behandlung gesammelt und verarbeitet werden, stellen eine technologische Herausforderung für Ärzte dar.
Es gibt einige Softwareprogramme, die medizinischem Fachpersonal bei diesen Herausforderungen helfen können:
- Gefahren im Bereich der Datensicherheit können durch Cybersicherheits-Software verringert werden.
- Für das Training von Angestellten und der Rekrutierung von Personal, dass Fachwissen auf dem Bereich Telemedizin und neue Technologien mitbringt, schaff HR-Software Abhilfe.
- Für das Datenmanagement und die Verwaltung einer Kunden- bzw. Patientendatenbank, kann DMS und CRM-Software verwendet werden.
Methodik der Umfrage
Um die Daten für diesen Bericht zu erheben, führte Capterra im April und Mai 2021 eine Online-Umfrage in folgenden Ländern durch: Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, den Niederlanden, Spanien, Kanada und Australien. An der Befragung nahmen 8160 Personen teil, davon konnten wir 1047 Personen aus Deutschland identifizieren, die unseren Kriterien entsprachen:
- Wohnsitz in Deutschland
- Über 18 Jahre alt
- Hatten innerhalb der letzten 12 Monate einen Arzttermin
- Gehen in der Regel mindestens einmal im Jahr zum Arzt