Zeiterfassungspflicht in Deutschland?

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Am 14. Mai 2019 hat der Europäischen Gerichtshofs (EuGH) beschlossen, dass „Arbeitgeber aus allen Ländern der Europäischen Union die gesamten Arbeitszeiten der Mitarbeiter systematisch aufzeichnen müssen.“ Aktuell besteht zwar für deutsche Unternehmen kein großer Handlungsdruck, da das Bundesarbeitsministerium die für die Umsetzung nötigen Gesetze der Zeiterfassungspflicht erst entwerfen muss. Aber irgendwann wird dieses Urteil umgesetzt werden müssen. Was wiederum bedeutet, dass alle deutschen Unternehmen sich dann dazu verpflichten, ein System einzusetzen, welches objektiv und verlässlich alle geleisteten Arbeitszeiten der Mitarbeiter erfasst.

Aber wie führt ihr nun so eine Zeiterfassung ein? Auf was solltet ihr achten? Im Rahmen dieses Blogartikels möchte ich euch fünf Schritte ans Herz legen, die ihr bei der Implementierung einer Zeiterfassung bedenken solltet, damit ihr optimal für die Zeiterfassungspflicht gewappnet seid. Übrigens sind die Schritte auch übertragbar auf die Einführung anderer Systeme.

Bereite dein Unternehmen mit diesen 5 Schritten auf die Zeiterfassungspflicht vor

5 schritte zur einführung der zeiterfassungspflicht

Schritt 1 : Entwerfe ein Zielbild

Schnell ins Internet und nach der passenden Software-Lösung suchen. Am besten gleich ein paar Demo-Versionen von Zeiterfassungssoftware herunterladen und kräftig ausprobieren. Dann wird man rasch herausfinden, was die richtige Lösung ist. Genau davon rate ich euch ab.

Wie bei allen Projekten ist es wichtig, sich am Anfang reichlich Gedanken über das Ziel des Vorhabens zu machen und eine saubere Auftragsklärung durchzuführen. Überlegt euch, was ihr mit der Einführung erreichen wollt. Nur die neuen rechtlichen Vorschriften umsetzen oder vielleicht weitere sinnvolle Aspekte integrieren und Synergieeffekte nutzen? Die nachfolgende Auflistung soll euch bei diesen Gedankenspielen unterstützen:

  • Startet mit einer Stakeholder-Analyse. Ermittelt alle Anwendergruppen in eurem Unternehmen, denn laut dem EUGH-Urteil sind die Arbeitszeiten aller Mitarbeiter zu erfassen.
  • Macht euch Gedanken wie diese Mitarbeiter die Daten in ein System einpflegen sollen. Wollt ihr ihnen eine Stechuhr zumuten, soll die Eingabe am Rechner erfolgen oder via App? Oder soll es eine Kombination aus verschiedenen Möglichkeiten sein?
  • Stellt euch dann die Frage nach bestehenden Prozessen. Müssen bestehende Systeme integriert werden oder über Schnittstellen angebunden werden? Dies können beispielsweise Systeme zur Überstundenerfassung sein.
  • Braucht ihr neue Hardware für die Erfassung der Daten?
  • Soll auch eine interne Auswertung der gesammelten Daten erfolgen?
  • Sollen Zusatzinformationen wie Ort, Zeit und Art der Tätigkeit erfasst werden können?
  • Wie detailliert soll eine Zeiterfassung erfolgen? Soll es eine reine Erfassung der Arbeitszeit sein, oder sollen Überstunden und Projektstunden auch dokumentiert werden?

Ihr könnt euch sicherlich vorstellen, dass man diese Liste beliebig weiterführen könnte. Aber darum geht es nicht. Vielmehr ist das Ziel ein gemeinsames Verständnis aller aktiv involvierten Personen (z. B. Management und Projektleiter) für eine mögliche Lösung zu entwickeln.

Schritt 2: Die Rahmenbedingungen und IST-Situation beachten

DSVGO-Anforderungen, Einbindung des Betriebsrates, Überstundenregelungen sind nur einige der Schlagworte, die ihr bei der Einführung eines neuen Zeiterfassungssystems auf dem Radar haben solltet. Auch der Schutz der Daten selbst, die Klärung der Frage wer berechtigt ist, welche Daten einzusehen und wie ein Mitarbeiter auf seine eigenen Daten zugreifen kann, muss dringend beachtet werden.

Bestehende – vielleicht flexible – Arbeitszeitmodelle müssen ebenfalls inspiziert werden. Je nachdem, wie die Bundesregierung die neuen Gesetze ausgestalten wird, kann es durchaus passieren, dass freie Modelle, wie Homeoffice oder flexible Arbeitszeiten, wieder restriktiver gehandhabt werden müssen. Auch dies kann Auswirkungen auf die Gestaltung der Lösung haben.

Gibt es darüber hinaus einen zeitlichen und finanziellen Rahmen? Existiert eine fixe Deadline, bis wann die Zeiterfassung implementiert sein muss? Macht euch auch Gedanken über ein MVP (Minimal Viable Product). Es muss gerade zum Start eines solchen Vorhabens nicht immer die (scheinbar) perfekte Lösung sein. Konzentriert euch auf die Muss-Kriterien bei der ersten Lösung und sammelt dann schnell Feedback, um Akzeptanz für eure Lösung zu erhalten.

Denkt auch an das Thema Kommunikation. Wer wird für die Umsetzung des Projektes verantwortlich zeichnen? Wer trifft Entscheidungen? Welche Skills braucht ihr im Projektteam? Wer ist nach Abschluss des Projektes für den Betrieb der Lösung verantwortlich? Wie bindet ihr das Management ein und wie stellt ihr das notwendige Commitment sicher?

Schritt 3: Auswahl der Lösung

Bemüht doch einmal bei der Suchmaschine eures Vertrauens und sucht nach dem Schlagwort „Zeiterfassung“. Ihr bekommt vermeintliche Marktführer, Vergleiche der „TOP 20 Zeiterfassungssysteme“, Zeiterfassungssysteme für kleine und mittlere Unternehmen, Systeme mit allen möglichen Features und natürlich Lösungen, die konform zum EUGH-Urteil sind (obwohl die rechtliche Ausgestaltung für Deutschland noch gar nicht feststeht). Kurz um, ihr befindet euch in einem unübersichtlichen Informations-Dschungel. Es geht also darum, strukturiert vorzugehen, um die passende Lösung zu finden.

Startet zunächst mit einer Marktanalyse und erstellt eine Longlist der möglichen Kandidaten. Sammelt Produkt- und Preisinformationen zu den ermittelten Lösungen und definiert anschließend Kriterien zur Bewertung der einzelnen Produkte. Wichtig an dieser Stelle: Die Kriterien sind von Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich und basieren auf den von euch zuvor definierten Anforderungen aus Zielbild und Rahmenbedingungen.

Anschließend gilt es diese Kriterien zu gewichten. ihr könnt z.B. zwischen Wunschkriterien, wichtigen, sehr wichtigen und kritischen Kriterien differenzieren. Vergebt Punkte für die einzelnen Klassen (z. B. Wunsch =1 Punkt, wichtig = 3 Punkte, sehr wichtig = 5 Punkte und kritisch = 8 Punkte) und vergleicht jedes der ermittelten Produkte gegen eure Anforderungen. Nach Abschluss dieses Vergleiches ergibt sich aus den Lösungen mit den höchsten Punktzahlen automatisch eine Shortlist mit den vermutlich besten Kandidaten.

Die Shortlist sollte nicht mehr als 3-5 Anbietern. Ladet die Firmen, die es auf die Shortlist geschafft haben ein, um ihr Produkt nochmals im Detail zu präsentieren. Prüft im Rahmen dieser Produktvorstellung die Anbieter mit vorbereiteten Fragen basierend auf euren Anforderungen. Vereinbart einen Nachweis, ob das gesprochene Wort auch dem Praxistest standhält und vereinbart einen Proof of Concept. Nach erfolgreicher Absolvierung des Tests geht es dann um die Themen Vertragsverhandlung und -abschluss mit eurem präferierten Anbieter.

Schritt 4: Die Einführung

Die Einführung einer unternehmensweiten Zeiterfassung erfordert Fingerspitzengefühl und umfangreiche Planungsaktivitäten. Grundsätzlich solltet ihr euch über die Einführungsstrategie Gedanken machen. Soll die Einführung in einem Big Bang Szenario erfolgen oder iterativ?

Die jeweiligen Vorteile sind im folgenden Artikel der t2-Informatik gut zusammengefasst, grundsätzlich sind jedoch die Menge an unterschiedlichen Anwendergruppen, die Komplexität der Lösung und die Größe des Unternehmens die entscheidenden Faktoren. Besonders im Hinblick auf die Anwender des Zeiterfassungssystems ist ein sensibler Umgang unabdingbar. Plant umfangreiche Schulungen ein, kommuniziert die Hintergründe der Einführung möglichst klar und schafft so Transparenz. Rechnet aber auch mit Gegenwind seitens der Anwender, denn gerade Mitarbeiter, die ein System ohne Arbeitszeitkontrolle gewohnt waren, werden das neue System primär als Einschränkung ihrer Freiheit betrachten.

Des Weiteren solltet ihr die Lösung vor dem Live-Gang auf Herz und Nieren testen. Definiert Pilotuser und achtet vor allen Dingen darauf reale und unbedarfte Anwender in die Tests mit einzubeziehen. Denkt aber auch an die Themen Stabilität und Performance. Denn wenn ein System kurz nach der Einführung seinen Geist aufgibt oder nur mit größter Mühe zu bedienen ist, wird dies für geringe Akzeptanz sorgen und die Vorurteile und Bedenken gegenüber dem Neuen erneuet befeuern.

Denkt auch an das Thema Support. Gerade nach einer Neueinführung wird es vermehrt zu Anfragen und Hilferufen von Anwendern kommen. Sorgt für einen professionellen und leicht erreichbaren Support, der sich dieser Themen annimmt und den Mitarbeitern kompetent weiterhilft.

Schritt 5: Überprüfen, verbessern und vorleben

Nachdem ihr das System eingeführt habt, werdet ihr mit Problemen konfrontiert werden, an die ihr vermutlich im Vorfeld nicht gedacht habt. Entwickelt ein Verfahren, bzw. ein Prozess, wie ihr diese Probleme löst und in die Verbesserung eures Systems einfließen. Nehmt Feedback ernst, versetzt euch in die Lage der Anwender und klärt gemeinsam die neuen Anforderungen. Bitte versteht mich nicht falsch, es geht hier nicht darum ein Wunschkonzert für Anwender zu implementieren, sondern sauber zu differenzieren, ob es sich um einen wirklichen Bedarf handelt, der aus unternehmerischer Sicht Nutzen stiftet.

Ein letzter Aspekt ist das Thema Vorleben. Das neue Systems wird nur dann erfolgreich sein, wenn es „gelebt wird“. Das bedeutet, dass alle Mitarbeiter das System wie angedacht nutzen und nicht ihre Zeit damit verbringen das System zu umgehen. Um dies zu erreichen, können natürlich Regeln und Folgeregeln für das Nicht-Befolgen aufgestellt werden. Wirksamer ist es jedoch die Nutzung des neuen Systems und die geänderten Prozesse auch und gerade in der Führungsebene vorzuleben.

Die Einführung einer unternehmensweiten Zeiterfassung ist also kein Hexenwerk, sondern ein überschaubares Projekt, wenn man nicht in Aktionismus verfällt und ein paar systematische Schritte befolgt. Ob und wann und vor allen Dingen in welcher Form das Gesetz zur verpflichtenden Arbeitszeiterfassung für alle Unternehmen kommt, steht in den Sternen. Nicht das erste Mal würde aus einer Mücke ein Elefant gemacht werden.

Bereite dich auf die Zeiterfassungspflicht vor und werfe einen Blick auf unsere Liste der besten Zeiterfassungssoftware!