Der Status quo der Customer Experience in Deutschland wurde im Rahmen einer IDG-Studie untersucht. Wenig überraschend: Je größer das Unternehmen, desto größer auch die Wahrscheinlichkeit, dass die Firma überhaupt einen CX-Ansprechpartner hat. Kleine und mittlere Unternehmen tun sich erwartungsgemäß schwer. Nein, es ist nicht die Marketingabteilung, die den CX-Hut auf hat: Die Hälfte der CX-Verantwortlichen sind IT-Leiter. Die Marketingabteilung wurde in der Studie unter 326 Befragten sogar nur ein einziges Mal als verantwortlich genannt.
Welche Rolle spielt das Marketing beim Thema Customer Experience?
Nun mag man sich fragen: Wie jetzt? Customer Experience war doch das beliebteste Buzzword der letzten Monate? Und CX ist doch schon fast zur Standardausrüstung deutscher Agenturen geworden? Hier lohnt sich ein differenzierter Blick: Schließlich ist es ein deutlicher Unterschied, ob wir uns über Kundenzentrierung auf Unternehmensebene und damit eine komplette Neuausrichtung und Rebuilding unterhalten oder ob wir die Kommunikation zu bestehenden Produkten und Services ändern.
Dass Marketing in der IDG-Studie so selten genannt wurde, mag zum einen daran liegen, dass die Studie zusammen mit der IT-nahen Zeitschrift Computerwoche durchgeführt wurde. Sie spiegelt gleichzeitig aber auch Realitäten wieder. Kaum ein deutscher Konzern hat einen Marketing- Verantwortlichen im Vorstand sitzen – und damit verbunden auch nur eingeschränkte Schlagkraft.
Prozesse? Change? Vertrauen?
Konzernen scheint es nicht ausreichend, Vertrauen ins Marketing zu geben. Vermutlich liegt dies auch an zu wenig Verständnis dafür, was Marketing einbringen kann. Dieses mangelnde Vertrauen hat Geschichte: Der Bereich Customer Experience hat sich aus dem Customer Relations Management (CRM) herausgebildet. Daten und Prozesse spielten im Kundenkontakt schon immer eine wesentliche Rolle. Doch war und ist CRM bis heute oftmals ein ungeliebtes Stiefkind des Marketings.
Schließlich wurden Entwicklungen wie Social oder Programmatic stets vor CRM priorisiert. Marketeers mit ganzheitlichem prozessualem Verständnis sind bis heute rar. Auch Change ist nicht des Marketeers liebstes Kind, wenn dieser in Kampagnen denkt. Da sich das ungeliebte Stiefkind nun zum Hero weiterentwickelt hat und priorisiert wird, soll nun also doch wieder die stolze Vaterschaft her? Atmen nicht vergessen.
Marketing hat sich gewandelt und kann einen wichtigen Beitrag leisten
Doch Gott sei Dank ist die Welt nicht so trübe. Schließlich würde sonst übersehen, dass sich das Marketing zum Umsatztreiber gewandelt hat. Chief Marketing Officers (CMO) erweitern ihr Wissen und ihre Tools laufend um neue Technologien. Das Forschungs- und Beratungsunternehmen Gartner sagte voraus, dass CMOs sogar IT-Leiter in Sachen Technologie-Expertise überholen werden. Durch das Zusammenfließen von Technologie-, Geschäfts- und Sozialtrends stellt das Marketing den Schlüssel zum Verständnis des Kundenverhaltens dar.
Unternehmen wären kurzsichtig, sich selbst diese Fähigkeiten vorzuenthalten. Leider zeigt die Realität in vielen deutschen Unternehmen dennoch bis heute, dass beispielsweise Social als reiner Branding- und PR-Kanal gesehen wird. Selbst der Zugang zu Social-Listening-Tools muss hart erkämpft werden. Anstrengend.
Die Fragen lautet nach vorne gerichtet: Ist das Thema Kunde wirklich ein reines IT-Thema? Verführerisch wäre es, die Verantwortung für die Kundenzentrierung den wenigen Chief Digital Officers (CDO) in deutschen Unternehmen überlassen zu wollen. Die Erfahrung zeigt, dass diese meist ausreichend mit der digitalen Transformation beschäftigt sind. Kundenzentrierte Macher sind durch die Anforderungen aus ihren Digital-, Daten-, Prozess-, Organisations-, Marken- und Vertriebskenntnissen ein sehr eigener Archetyp.
Gönnt euch einen Chief Customer Officer
Als ich vor fünf Jahren nach Deutschland zurückkehrte, hatte ich die Rolle eines Chief Customer Officers inne. Eine Funktion, die es seit mehr als 20 Jahren im angelsächsischen Raum gibt. In manchen Unternehmen wurde diese als Chief Experience Officer ausgelegt. Doch eines war bezeichnend: Deutsche Personalabteilungen blickten mich mit großen Augen an. „Was soll denn das für ein Titel sein? Der heiße Scheiß bei uns ist gerade Programmatic.“ Willkommen im Silo.
Nun mag man darüber streiten, ob es neben CIO, CDO auch für den Kunden und dessen Erlebnis einen separaten C-Level Posten braucht. Meine Antwort lautet: Ja. Für die ersten Jahre auf jeden Fall. Natürlich stimme ich zu, dass analog zu einem CDO das Thema Kunde von der gesamten Organisation verstanden werden muss. Gleichzeitig brauchen wir gerade in Deutschland ein Rebuilding bestehender Strukturen.
Player, die erst in der Zeit der Digitalisierung entstanden sind, wie der Modehändler Zalando, richteten sich die letzten Jahre konsequenter auf die Kundenbedürfnisse aus, schafften deutlich bessere Kundenerlebnisse in der digitalen Welt – und stoßen mittlerweile auch in die Offline-Welt vor. Dagegen müssen Old-Economy-Unternehmen sich mühsam eine digitale Parallelwelt für ihre Kunden schaffen. Und vor allem alte, ineffiziente Prozesse abbauen.
In diesem Sortierungsprozess hilft es, Macher zu haben, die frei von alten Paradigmen ganzheitlich denken und handeln können. Analog eines CDO hilft es ebenfalls, wenn das Thema verkörpert, vorgelebt und sortiert wird. Erst recht auf Basis der steigenden Komplexität des Themas Kunde. Je höher die Kundenkompetenz und -Verantwortung im Unternehmen angesiedelt wird, desto höher die Chance, wirklich Altbewährtes im ganzen Unternehmen loszulassen und im Zeitalter des Kunden einen positiven Unterschied zu machen. Für die digitale Transformation und Zukunftsfähigkeit des Unternehmens.
P.S.: Die IDG-Studie kann hier kostenfrei bestellt werden.
Über den Autor
unterstützt Unternehmen, Digitalisierung an Kunden und Mitarbeitern auszurichten. Kundenzentrierung, neue Formen der Zusammenarbeit und Digitale Verantwortung waren bereits während seiner Zeit bei Sport1, SKY, Springer & Jacoby, BMW, Daimler, JungvonMatt und Ogilvy Schwerpunkte seiner Arbeit. Heute gibt Johannes Ceh seine Erfahrungen als Keynote-Speaker, Berater, Kolumnist und Autor weiter.