„Videointerviews sind eine echte Chance, zu einer verlässlichen Einschätzung von Eignung, Kompetenz und eben zukünftiger beruflicher Leistung,” Marcus Reif .

Zu Beginn der Krise haben 45 % der Unternehmen ihre Mitarbeiter als Reaktion auf COVID-19 Vollzeit ins Home-Office geschickt. Die Krise nahm damit kein Ende, wir befinden uns inmitten der zweiten Welle. Unternehmen, die auf der Suche nach neuen Mitarbeitern sind, mussten sich schnell mit dem Recruiting-Prozess per Video anfreunden. Der ICR Blitzumfrage mit über 500 Arbeitgebern zufolge, sind bei Bewerberinterviews in Zeiten von Corona zeitgleiche Videointerviews bei 56 % der Unternehmen das Mittel der Wahl.

Was hat sich aber geändert? 

Während das Online Vorstellungsgespräch für viele Recruiter nichts Neues ist, haben sich doch die Arbeitsstrukturen in vielen Unternehmen verändert. Vor der Krise haben lediglich 7,5 % der in einer Studie befragten Mitarbeiter Vollzeit remote gearbeitet haben. In Zukunft wird sich diese Zahl jedoch erhöhen. 70 % der remote arbeitenden Angestellten teilen uns mit, dass sie gerne von zu Hause arbeiten. 

Auch für Unternehmen ergeben sich viele Möglichkeiten wie die ortsunabhängige Mitarbeitersuche, Kostenersparnisse durch reduzierte Arbeitsplatzbelegung und ein Anstieg in der Attraktivität als Arbeitgeber. Daher sind immer mehr Unternehmen auf der Suche nach langfristig Remote-Angestellten.

Tipps für das Online Vorstellungsgespräch

Für diesen Artikel haben wir Interviews mit fünf bekannten HR-Bloggern geführt. Unsere Experten erklären uns, was in einem Online Vorstellungsgespräch entscheidend ist, wie man für eine remote Stelle interviewt, was im virtuellen Onboarding zu beachten ist und vieles mehr.

6 Tipps, um ein Online Vorstellungsgespräch erfolgreich durchzuführen

Im Grundsatz gilt, dass die gleichen Attribute für ein Präsenz-Interview auch für das Online Vorstellungsgespräch gelten. Es ist wichtig sich vor Augen zu halten, dass der Wechsel des Mediums nicht zu einem anderen Ansatz bei der Beurteilung der Eignung führt. 

Es gibt jedoch einige Besonderheiten, die in Remote-Interviews beachtet werden sollen. Diese sechs Tipps helfen Recruiter ein erfolgreiches Online Vorstellungsgespräch durchzuführen.

1. Das richtige Equipment

Besonders wichtig ist „eine technisch ausgereifte und stabile Video-Lösung sowie eine saubere Einbindung in den gesamten Recruiting-Prozess, inklusive der Einhaltung von Vorgaben aus dem BDSG sowie der DSGVO,” erklärt Stefan Scheller.

Eva St ock fügt hinzu: „ dabei sollte man darauf achten, dass die Einwahl in das Tool auch für externe Personen einfach ist und das Tool auch außerhalb des Firmennetzes einwandfrei funktioniert. Besonders wichtig ist, dass es auch auf dem Smartphone oder Tablet läuft.” 

Eine HR Software bzw. Recruiting Software kann dabei helfen, Bewerberdaten zu sortieren und sich auf Vorstellungsgespräche vorzubereiten.

2. Eine klare und rechtzeitige Kommunikation 

Joachim Zitat

Wichtig ist auch, im Nachgang die weiteren Schritte transparent zu machen und bereits einen Zeitkorridor zu nennen, bis wann man sich zurückmeldet. „Verbindlichkeit ist gerade remote wichtig,” teilt uns Eva mit. 

3. Eine gute Vorbereitung 

„Kandidaten sowohl als auch Interviewer sollten gut vorbereitet in ein Interview gehen und sich inhaltlich mit der Stelle bzw. dem Kandidaten auseinandergesetzt haben,” sagt Marcel Rütten.

4. Für Ruhe und Professionalität sorgen

„Wir dürfen nicht glauben, dass der Wechsel des Mediums – also physisches Treffen in einem Raum – zu einem anderen Ansatz bei der Beurteilung der Eignung führten müsste. Im Interview bleibt das Smartphone stumm und das Notebook unangetastet,” erklärt Marcus Reif. 

Darüber hinaus sollten Störungsquellen wie offene Fenster oder Personen im selben Raum vermieden werden.

5. Unternehmenswerte richtig vermitteln 

„Recruiter müssen Ihren Arbeitgeber bestens repräsentieren, denn sie sind Botschafter ihres Unternehmens,” teilt uns Marcus Reif mit. Per Video ist es schwieriger Unternehmenswerte zu vermitteln – lege darauf einen Fokus und repräsentiere deinen Arbeitgeber bestmöglich. 

6. Augenkontakt herstellen und das Gespräch lenken

„Es ist wichtig, eine persönliche Verbindung zu suchen. Um Augenkontakt herzustellen, sollten die Gesprächsteilnehmer direkt in die Kamera schauen. Außerdem sollten Interviewer sich bemerkbar machen, wenn Sie das Wort ergreifen wollen und Kandidaten immer dann das Wort erteilen, wenn sie ihre Frage abgeschlossen haben,” fügt Marcel Rütten hinzu. 

Welche wichtigen Interviewfragen sollte man Kandidaten für eine remote Position stellen?

Wie kann ein Interview aussehen, wenn für eine Remote-Position interviewt wird? Marcel Rütten und Eva Stock teilen jeweils drei Eisbrecher Fragen mit uns, die man Remote-Kandidaten am Anfang eines Interviews stellen kann:

1. Können Sie mich hören und sehen? 

2. Wie haben Sie die Zeit seit dem ersten Lockdown erlebt? 

3. Welche Kommunikationsformate nutzen Sie seitdem proaktiv, um mit Kollegen vernetzt zu bleiben?

4. Wie stellen Sie sich einen perfekten Remote-Arbeitstag vor? Was muss den Tag über passiert sein, damit Sie in den Feierabend starten und denken: das war ein produktiver und erfolgreicher Tag?

5. Haben Sie bereits remote gearbeitet, wenn ja, wie lief das ab? War das über eine längere Zeit oder nur “tageweise”. Was gefällt bzw. gefiel Ihnen daran und was nicht?

6. Welches Equipment wünschen Sie sich für den remote Arbeitsplatz? Wie gut ist die vorhandene Internetverbindung? Gibt es Hard- oder Software, die Sie unbedingt brauchen und wie sieht Ihr Heimarbeitsplatz aus?

Es ist wichtig, den Kandidaten proaktiv nach seinen Bedürfnissen zu fragen. Das schafft Vertrauen in das Unternehmen, zeigt Wertschätzung in die Mitarbeiter und ihre Wünsche und sorgt für einen guten Start in den neuen Job mit der richtigen Software und Ausstattung.

Fragen zu den Gewohnheiten bei der Remote-Arbeit können als Einstieg gewählt werden und geben Einblicke in die Kommunikations- und Organisationsfähigkeit und -vorlieben des Kandidaten. 

Im weiteren Interviewverlauf sollten sich Recruiter auf die gleichen Skills, Kompetenzen oder Haltungen fokussieren, wie in einem Offline-Gespräch. „Dabei helfen vor allem hoch- oder zumindest teilstrukturierte Interviews, wissenschaftlich valide Testverfahren, Arbeitsproben oder Aufgaben im Bereich sogenannter „realistic job previews“, erklärt Stefan Scheller. 

Die realistic job preview oder auf Deutsch realistische Jobvorschau ist eine möglichst realistische Darstellung der Arbeitsstelle, die dafür sorgt, dass Bewerber mit den richtigen Erwartungen an den Job und das Unternehmen in den Bewerbungsprozess gehen. Die realistische Jobvorschau sorgt für eine höhere Authentizität des Unternehmens und weiger Abbrüche im Bewerbungsprozess. 

Marcus Reif schlägt folgende Fragen für den weiteren Gesprächsverlauf vor: 

  1. Wofür wollen Sie wahrgenommen und wertgeschätzt werden?
  2. Wieso sollten wir Sie einstellen und was denken Sie, würde uns davon abhalten?
  3. Erzählen Sie mir von einem Ihrer größten Fehler im Berufsleben, was Sie daraus gelernt haben und wie Sie das heute angehen würden?

Interviewer verwenden heute in Vorstellungsgesprächen häufig “verhaltensorientierte Interviewfragen”, wozu die dritte Frage von Marcus gehört. Recruiter wollen dadurch verstehen, wie der Bewerber mit verschiedenen – oft schwierigen – Situationen umgeht, um seine “Soft Skills” zu demonstrieren. Dies ist bei remote Stellen besonders wichtig, da Probleme nicht mal schnell von Angesicht zu Angesicht gelöst werden können. 

Was sich seit COVID-19 bzgl. einer guten Candidate Experience verändert hat

COVID-19 hat die Candidate Experience gut durchgeschüttelt. Kandidaten können nicht sehen, wie es im Unternehmen aussieht, wie die Empfangs- und Meetingkultur usw. ist. Es ist wichtig, dass der Kandidatenseite die Möglichkeit gegeben wird, sich ein Bild vom Unternehmen zu machen. „Das heißt, dass all diese Themen auf anderen Wegen transparent gemacht werden müssen: Über die Begleitkommunikation rund um die Bewerbung, über Social Media, über die Karriere-Website und natürlich auch indem diesen Punkten Raum innerhalb der Video-Interviews eingeräumt wird,” beschreibt Joachim Diercks.

„Viele Unternehmen wurden während der Kontaktbeschränkungen kreativ. Es wurden Image-Videos im Homeoffice gedreht, Kandidaten zur remote-Unternehmensführung eingeladen und ganze Recruiting-Tage und Messen online realisiert. Das macht für Kandidaten den Unterschied. Eine Firma, die modern rekrutiert und moderne Lösungen zeigt, die wird auch in Zukunft erfolgreich sein,“ erklärt Eva Stock. 

Marcel Zitat

Nach der Einstellung: Was besonders beim virtuellen Onboarding beachtet werden sollte

Zunächst sollten interne Verantwortlichkeiten und technische Voraussetzungen geklärt werden. Dabei müssen vor allem Arbeitsmittel wie Laptops oder PCs und Bildschirme erst einmal zu den neuen Beschäftigten gebracht werden. Es muss geklärt werden, ob der neue Mitarbeiter alle Informationen und Zugänge hat, um seinen neuen Job remote beginnen zu können. Danach ist eine ordentliche Zeitplanung entscheidend. 

Zitat Eva

Zusätzlich zu allen notwendigen Schulungen sollte auch Zeit und Möglichkeit für den informellen Austausch, z.B. durch digitale Kaffeepausen, Mittagspausen oder Afterworks, geschaffen werden.

Zitat Marcus

Das Online Vorstellungsgespräch macht den Bewerbungsprozess fairer

Bei einem Video-Interview fehlen zahlreiche nonverbale Eindrücke (wie ein Händeschütteln, Sitzhaltung, Etikette), die manchen Recruitern vermeintlich Aufschluss über den Charakter eines Kandidaten geben. Das Fehlen dieser Eindrücke bei Remote-Interviews ist meiner Meinung nach aber eher ein positiver Effekt und führt zu mehr Fairness im Bewerbungsprozess.

Scheller Zitat

Mehr Fairness in den Recruitingprozess zu bekommen ist und bleibt weiterhin die Hauptaufgabe und auch Schwierigkeit im Recruiting. 

Der nächste große Trend im Recruiting ist die künstliche Intelligenz (KI). Sich wiederholende Aufgaben können durch KI automatisiert werden. Dadurch gibt die künstliche Intelligenz Personalvermittlern Zeit, sich um wichtigere Aufgaben zu kümmern. Weiterhin soll KI dazu beitragen, die Fairness im Prozess zu erhöhen. In unserer Studie zu KI im Recruiting geben 40 % der Befragten an, dass sie glauben, dass KI den Rekrutierungsprozess fairer macht. 35 % glauben, dass KI unbewusste Vorurteile der Recruiter reduzieren kann.

Inwieweit KI in Zukunft Video-Interviews in kleinen und mittelständischen Unternehmen unterstützen bzw. ablösen kann, bleibt gespannt abzuwarten.

Online Vorstellungsgespräch erfolgreich durchführen
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